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Die Literat/innen und ihr Bezug zum Tod
Marlen Schachinger wurde frühzeitig und während eines Schneesturms geboren; wohlgemerkt: der österreichischen Variante desselbigen, und wie alles kommt auch so ein Schneesturm hierzulande ein bisserl gemütlicher, ein bisschen mieselsüchtiger daher als anderswo. Und weil sie ist, wer sie ist beobachtet sie, was vor sich geht, und erzählt, liest, liebt, lebt auf ihre Art: nachsinnend, wissbegierig und obsessiv, durchaus auch ungeduldig – und da dies im Präsens formuliert ist, kann wohl der Grammatik folgend angenommen werden, dass sie noch nicht über den Jordan gegangen ist, hat es auch noch nicht vor, denn an ein jenseitiges Land der Verheißung glaubt sie nicht: Das Bedeutsame kündigt sich kaum je feierlich-verheißend an, vielmehr schleicht es sich im Nebenher in unser Leben, um schlicht da zu sein. Und gesehen zu werden.
Markus Orths wurde irgendwann einmal geboren und ist seither stets auf der Flucht, ohne zu wissen, wovor und wohin. Er sprang bis dato dem Tod dreimal von der Schippe, was ihn zu einem seiner ersten kurzen Texte namens "Schippensprünge" inspirierte.
Michael Stavarič hat sich dem Schreiben verschrieben. Er verschraubt sich aber auch ganz oft. Äh, verschreibt, sorry! Mors ultima linea rerum ... hoffentlich hab ich das richtig geschrieben, in Latein hatte ich stets ein "Nicht Genügend“. Der Tod ist die letzte Grenze der Dinge!


Interview mit den Künstler/innen Orths, Stavarič und Schachinger zum Thema

 I. Was hat Sie zur Arbeit an dem Projekt bewogen?  

Marlen Schachinger: Der Themenkreis ›Sterben/Tod‹ beschäftigt mich seit mehreren Jahren. Oder – um einen anderen Blick auf die gleiche Landschaft zu werfen: Mich interessiert die Fragestellung des ›Warum leben?‹ – welche für mich zudem durch eine ›Wie‹-Komponente dominiert wird. Daher begann ich im Jahr 2015 die Arbeit an einem umfassenden Romanprojekt zu jenem Thema unter dem Titel »Pension zur Guten Ruh«. Wenig später saßen Michael Stavarič und ich nach einer gemeinsamen Lesung in meinem Wohnzimmer und sprachen über das Literarische Feld: Erzählerisches Gestalten, Präsentation, neue denkbare Ansätze zwischen beiden, und bevor die Whiskyflasche leer war, schließlich will ein guter Scotch genossen und nicht gesoffen werden, lag ein Gedanke auf dem Couchtisch, der sich auch bei nachfolgender nüchterner Betrachtung durchaus zu verfeinern lohnte: Eine Lesung für die Toten. Der Denkansatz zu »Requiem – Fortwährende Wandlung« war geboren. Auf dass jene Idee zu leben beginne, suchten wir Finanzierungsmöglichkeiten. Eine solche sah ich im Rahmen des Vierviertelfestivals 2017 gegeben – ja, manch gut Ding will Weile, und einzelne Projektideen brauchen den Dornröschenschlaf, keine hundert Jahre, bloß vier – bis sich der Vier-Viertel-Takt erneut zum Weinland herauf bewegt.

Markus Orths: Der Tod nimmt in meinem Schreiben schon immer einen zentralen Ort ein. Das ist nichts Außergewöhnliches und geht vielen Künstlern so. Ich selber habe in meinem Leben einige Situationen erlebt, in denen der eigene Tod nur durch einen sehr glücklichen Umstand verhindert wurde. Darüber hinaus habe ich mich in meinem Studium intensiv mit "Philosophen der Existenz" im weitesten Sinne auseinandergesetzt, und auch dort ging es immer wieder um den Tod, um die Angst vor dem Tod, um den Mut zur Angst vor dem Tod. Insofern scheint mir das Projekt des "Requiems aus Sprache" eine klare, gute, wichtige Idee. Noch einmal eine ganz andere und neue Dimension erhielt der Blick auf das Ende des Menschen für mich durch den Tod meines Vaters Anfang des letzten Jahres. Mein Vater war für mich ein sehr wichtiger Mensch, nicht nur als väterliches Vorbild, auch hinsichtlich des Schreibens. Er hat selber kurze Geschichten geschrieben und veröffentlicht und meine ersten Schreibversuche schon früh begleitet. Er hat alle meine Bücher bereits als Manuskript gelesen und dann noch einmal die Korrekturfahnen, weil er ganz besonders gut im Auffinden von Tipp- und Rechtschreibfehlern war. Insofern kam die Frage, ein Requiem zu "schreiben", zu einer Zeit, in der mich der Tod gerade noch einmal ganz neu getroffen hatte. Und ich hoffe, dass mein Text unter anderem auch ein Requiem für meinen Vater sein kann, zu seinem ersten Todestag. Er wird es leider nicht mehr lesen oder hören können.

Michael Stavarič: Der Tod stellt ein Grundmotiv in meiner Literatur dar, insofern ist mir eine Auseinandersetzung vertraut. Die ursprüngliche Überlegung war, sich im Rahmen der Literaturvermittlung mit speziellen "Leseformaten" auseinanderzusetzen. Zunächst dachte ich noch an eine Lesung am Friedhof, gewissermaßen eine Lesung für die Toten. Daraus wurde in Zusammenarbeit mit Marlen Schachinger ein Requiem im liturgischen Kontext.

II. Welche Aspekte sind Ihnen daran wichtig?
Marlen Schachinger: Eine Literaturwissenschaftlerin und Germanistin, welche in Bratislava lebt und arbeitet und meine Romane analysierte, sagte mir einmal: ›Frau Schachinger, Sie sind wahrhaft wienerisch!‹ Meine Nachfrage, wie denn das gemeint sei, nötigte ihre eine deutliche Verfeinerung auf: ›Morbid!‹ Ich glaube, sie hat Recht und Unrecht zugleich. Dass mich der Verfall, den ich in unserer Zeit beobachte, beschäftigt, ist korrekt: Egomanie, Wirtschaftswahn, Gleichgültigkeit und eisige Kälte stimmen bedenklich. Wir leben in einer kranken Welt, und nein, damit sei nicht gesagt, dass sie früher besser war – im Gegenteil, Zuckmayers ›Die Welt wird nie gut, aber sie könnte besser werden‹, sei daher in Erinnerung gerufen, und eine unserer Aufgaben sehe ich durchaus darin, bei unserem Sterben sagen zu können, wir haben unseres dazu beigetragen. Und diejenige der Kunst besteht meines Erachtens durchaus auch darin, unsere Gegenwart zu fokussieren und auf Missstände hinzuweisen.
Eine Beschäftigung mit dem Themenkreis ›Sterben/Tod‹ sehe ich dennoch nicht als ›morbid‹ an, denn für mich dreht sich die Frage des Sterbens vor allem um das Leben: Wie kann es gestaltet werden, dass es mir das Adjektiv ›gut‹ verdient? Denn irgendwann gezeugt und geboren worden zu sein, um fürderhin das ›Muss-zu-atmen‹ am Hals oder vielmehr in der Lunge zu haben, reicht mir als Lebensgrund nicht aus.
Hinzu kam in den letzten Jahren – neben dem Verabschieden mancher Menschen, die mir wichtig und nah waren, – obendrein das Altern – na no na ned, könnte man sagen, wir werden schließlich alle nicht jünger. Was mich daran interessiert? Ich stellte in den letzten Jahren fest, dass sich der Umgang mit Menschen im Lebensalter 70+ gehörig veränderte: Sie sind die neuen Halbjungen, sie sind nicht mehr alt, ja, es erscheint völlig indiskutabel alt werden zu dürfen, sie haben hipp zu sein, einen Chiffonschal ums volle, farbenprächtige Haar, die Haut ›natürlich‹ beinahe völlig faltenfrei, und ab ins Cabrio, die Welt entdecken, der reißen sie selbst mit 80+ noch ein Bein aus, und können sie es nicht, sollten sie tunlichst von der Bildfläche verschwinden: getilgt. Das ist doch – mit Verlaub – zum Vomitieren.

Markus Orths: Die Absurdität des Lebens angesichts des Todes, der jeden ereilen wird zwangsläufig irgendwann. Das Unausweichliche des Todes aber auch als Möglichkeit, einen neuen Blick auf das Leben zu werfen, auf die Lebensspanne, die einem gegeben ist. Der eigene Tod, die Angst, die Schmerzen, das Loslassenmüssen und Nichtloslassenwollen. Die kleinen Tode, die wir zeitlebens schon sterben, als Einübung: Abschied, Trennung, Alleinsein, Einsamkeit, Langeweile, Scheitern, Sinnlosigkeitsgefühle, Misserfolge. Der Tod des anderen, des geliebten Menschen als tiefer Einschnitt ins Leben. Die Bemühungen, dem Tod den Zahn zu ziehen durch das Sichklammern ans ewige (Weiter-)Leben, sei es durch Religion, Kunst oder Kinder. Und vieles mehr.

Michael Stavarič: Wir leben in einer (westlichen) Welt, die konsequent eine Tabuisierung des Todes betreibt. Die (westliche) Literatur tut das nicht - und tat das nie.

III. Wie würden Sie den Schreibakt umschreiben/umreißen? Ist dieser anders als bei anderen Projekten? Spielt das Thema eine Rolle?
Marlen Schachinger: Das Thema spielt mir im Erleben des Schreibakts kaum eine Rolle; was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass ›Sommerliebe in Florenz‹ und ›Nächster Mann samt alles anders‹ nicht zu meinen Sujets zählten. Dass mir gewisse Aspekte bei gesellschaftlichen, politischen und philosophischen Arbeitsschwerpunkten durchaus an die Nieren gehen können, sie mich auch mal gehörig herumwirbeln, nachts aufschrecken lassen, ist mir Teil des Arbeitsprozesses: Es schreibt eben in mir. Ja, so könnte man das nennen. Ein Aspekt des Schreibakts wird hingegen bei diesem Projekt mit Sicherheit ein anderer sein: Durch die Verwobenheit der drei Textelemente, die je von einem der beteiligten Literat/innen stammen, wird nicht bloß für Michael wie mich ein Warten nötig, unsere Texte reagieren zudem auf denjenigen, den Markus verfasste. Welche Aspekte greift er in seinem allgemeinen liturgischen Rahmen auf? Wie gestaltet er sie? Welche Bibelstellen scheinen daher schlüssige ›Partner‹ für den von ihm gewählten Fokus?

Markus Orths: Das jeweilige Thema spielt bei jedem Schreiben eine Rolle. ;-) Und ich schreibe sehr gerne sehr rauschhaft und lasse mich mitreißen von dem, worüber ich schreibe. Das ist auch hier so. Es entstehen dabei ganz automatisch immer wieder kleine Geschichten oder Szenen, es tauchen Erinnerungen auf, Gelebtes, Geträumtes, aber auch Ersponnenes. Es wird also keine essayistisch-nachdenkliche Auseinandersetzung, sondern ein assoziativ-rauschhaftes Blitzen. Aber es kann auch gut sein, dass ich alles wieder ändere und noch mal neu beginne. Diese Möglichkeit besteht immer.

Michael Stavarič: Der Schreibakt ist immer ein kleines Mysterium – und man weiß nie, welches Ergebnis er nach sich zieht. Grundsätzlich spielt allerdings das Thema keine wesentliche Rolle, denn: Die Grundthemen sind ohnedies klar (Tod, Leben, Mann, Frau etc.) Allein die Frage nach der Form ist entscheidend ...

IV. Glauben Sie, dass neue Aspekte des Themas während der Arbeit auftauchen werden/aufgetaucht sind?
Marlen Schachinger: Eindeutig: ›Ja‹. Sonst hätten wir es nicht als Projekt angedacht und umsetzen wollen. Ein Gutteil der Schreibmotivation ist eben Entdeckungslust. Was mich am Todes-Thema bislang überraschte: Zu Beginn meiner Beschäftigung war ich überzeugt, ich könne zwar kein ›Wozu?‹ beantworten, hätte aber zumindest eine Ahnung, vielleicht sogar einen Begriff davon, was ›leben‹ hieße: eine ziemlich mühselige Angelegenheit, ein Balanceakt zwischen Sich-Abstrampeln und fortwährendem Kämpfen, 90% anstrengend, 10% entspannt, so ließe sich das Verhältnis pauschal formuliert zusammenfassen. Dachte ich. Nun, nach zwei Jahren mit jenem Thema und am Beginn von »Requiem – Fortwährende Wandlung«, sitze ich hier in meinem Haus, draußen liegt der Schnee, die Temperaturen verharren seit vielen Tagen stoisch unter Null, und ich staune, weil ich über die Schönheit allen Lebens und Lebendig-Seins schreibe, 90% Langmut (oder für diejenigen, die das Modewort eher verstehen: Gelassenheit) versus 10% K(r)ampf – maximal …

Markus Orths: Wenn keine neuen Aspekte auftauchten, würde ich nicht schreiben. Mich reizt nur das Neue. Oder zumindest das Neudurchdenken und Neudurchmessen und Neudurchschreiben des Alten und Bekannten, aber immer neue Formen, neue Sprache, neue Szenen.

Michael Stavarič: Kein Satz gleicht dem anderen. Und auch ein jeder Gedanke bringt eine neue Variation hervor.

Insofern: Lassen wir uns überraschen!